Szenarien sind eine Kette von situations- und handlungsbezogenen Aufgaben, die einen realistischen Hintergrund haben und eine Vielzahl von beruflichen Kommunikationssituationen abdecken. Dazu gehören beispielsweise telefonieren, E-Mails oder Dokumentationen schreiben, nachfragen, Informationen weitergeben und an Besprechungen teilnehmen.

Die DaF/DaZ-Lehrende, Fortbildnerin und Lehrwerksautorin Anne Sass ist überzeugt: Szenarien richtig eingesetzt sind eine hervorragende Vorbereitung auf berufliche Situationen. Warum das so ist, wie ein Szenario konkret aufgebaut sein kann und was Lehrende beachten müssen, wenn sie selbst Szenarien entwerfen, erklärt sie im Interview.

Frau Sass, können Sie den Aufbau eines Szenarios an einem einfachen Beispiel konkret beschreiben?

Anne Sass: Nehmen wir folgende Situation: Nach einer erfolgreichen Bewerbung steht einer Person der erste Arbeitstag bevor. Sie oder er erhält ein Schreiben mit Informationen zum Arbeitsantritt. Allerdings hat sie/er noch zwei Fragen dazu. Diese könnten zum Beispiel lauten: Wer ist mein Ansprechpartner am ersten Tag? Muss ich Arbeitskleidung mitbringen? Diese Fragen sollen mit einem Telefonat geklärt werden. Das ist Schritt 1 dieses Szenarios. Die Kommunikationssituation ist hier also ein Telefonat.

Schritt 2 findet in der Firma statt und ist der Einstieg in den ersten Arbeitstag dieser Person. Sie hat zum Beispiel ihr Kennenlerngespräch mit der oder dem Vorgesetzten. Hier handelt es sich um eine direkte Unterhaltung, der Charakter ist ein eher formelles Gespräch, in dem eine Hierarchie besteht.

Schritt 3 könnte wieder eine andere Kommunikationssituation aufgreifen. Hier unterhält sich die/der neue Mitarbeitende zum Beispiel mit einer Kollegin oder einem Kollegen und lässt sich bestimmte Abläufe in der Firma erklären. Unter Kolleg:innen wird ein anderes Sprachregister benutzt als im Gespräch mit Vorgesetzten. Die Unterhaltung ist also weniger formell.

Dieses Szenario bezieht sich vor allem auf die mündliche Kommunikation. Selbstverständlich können auch das Schreiben einer E-Mail oder das Lesen eines Fachtextes, um  z. B. relevante Informationen daraus weiterzugeben, Gegenstand von Szenarien sein.
Diese Szenarien werden am Ende der entsprechenden Lerneinheit von den Kursteilnehmenden in kleinen Gruppen durchgespielt, um das Erlernte zu festigen.

Welche Tipps würden Sie Lehrenden geben, die Ihre eigenen Szenarien entwerfen wollen?

Anne Sass: Wenn Sie starten, Szenarien für Ihre Lerngruppe zu entwicklen, können Sie sich gut an einer Dreierregel orientieren. Das heißt zum einen konkret: nicht mehr als drei Personen. In unserem obigen Beispiel wären das die Person, die ihren ersten Arbeitstag hat, die oder der Vorgesetzte und ein Kollege oder Kollegin. In Dreiergruppen hat so jeder Kursteilnehmende seine Rolle. Möglich wäre es auch, das Szenario in einer Vierergruppe spielen zu lassen. Dann hat ein Lernender immer die beobachtende Rolle und kommentiert anschließend.
Zum anderen gilt die Dreierregel auch für die Länge des Szenarios: nicht mehr als drei Schritte. Der Grund ist ganz einfach, dass die Situationen des Szenarios schnell erfasst werden müssen, um in die Rollenspiele einsteigen zu können. Aus diesem Grund sollte auch jeder Schritt des Szenarios nicht mehr als drei Aufgaben enthalten. In meinem genannten Beispiel beinhaltet die Kommunikation am Telefon die Aufgabe, nur zwei Fragen zu stellen.
Und zu guter Letzt sollten in den drei Schritten drei unterschiedliche Kommunikationssituationen gemeistert werden.

Wichtig ist, dass all diese Situationen zuvor im Kurs behandelt wurden. Das Szenario steht ja am Ende einer Lerneinheit. Außerdem sollte man dafür wirklich genügend Zeit einplanen. Meine Empfehlung sind mindestens eineinhalb Stunden. Ebenfalls muss es natürlich den Lernzielen und dem Sprachniveau des Kurses angepasst sein.

Worin liegt für Sie der größte Vorteil von Szenarien?

Anne Sass: Sie reduzieren die Komplexität der Arbeitswelt und sind sehr handlungsorientiert. Natürlich ist das tatsächliche Arbeitsleben viel komplexer. Es gibt aber doch Situationen, in die die meisten in ihrem Berufsleben kommen werden, auch wenn sie in unterschiedlichen Branchen arbeiten. Da hilft es enorm, wenn man diese Situationen im Kurs geübt hat, um sie sprachlich bewältigen zu können. Über die sprachlichen Mittel zu verfügen, stärkt letztlich das Selbstvertrauen.

Hier kommt zum Beispiel auch dem Chunk-Learning, das ja schon auf frühen Sprachniveaus eingesetzt werden kann, eine große Bedeutung zu. Bestimmte Floskeln und Sätze, die man auswendig lernen und in den entsprechenden Situationen abrufen kann, sind in der beruflichen Kommunikation auf jeden Fall hilfreich.