Lernerzentriert und handlungsorientiert – so sollte zeitgemäßer Unterricht gestaltet sein, findet Dr. Rainer E. Wicke. Er war über zwanzig Jahre Mitarbeiter der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) mit dem Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache sowie Vorbereitung und Fortbildung. Nach wie vor bildet er Lehrer*innen fort. Sein Schwerpunkt ist CLIL (Content and Language integrated Learning, dt. fach- und sprachintegriertes Lernen) und hier insbesondere die Variante FüDaF. Im Rahmen dieser Unterrichtsform greift Wicke gerne Themen aus Literatur, Kunst und Musik auf. Ein Einblick in diesen projektbezogenen Unterricht für Kinder und Jugendliche:

Herr Dr. Wicke, was verbirgt sich eigentlich genau hinter der Abkürzung FüDaF?

Rainer E. Wicke: Sie steht für „Fächerübergreifender Deutsch als Fremdspracheunterricht“. Dabei fließen Inhalte und Besonderheiten der Fachsprachen anderer Fächer wie Kunst und Musik, aber auch Biologie, Geographie, Geschichte etc. in den fremdsprachigen Deutschunterricht ein. Es findet also eine Verzahnung zwischen Sachfach- und Sprachunterricht statt, aber der Fokus ist, anders als bei typischen CLIL-Varianten, sprachbezogen. Die Schüler*innen lernen projektorientiert und eignen sich so eine fachbasierte Diskursfähigkeit an. Die Fremdsprache ist nicht nur Gegenstand, sondern Kommunikationsmittel für Schüler*innen und Lehrkräfte. Das heißt, sie ist Medium und Inhalt zugleich.

Warum eignen sich Musik und Kunst besonders für die Unterrichtsform FüDaF?

Rainer E. Wicke: Weil diese Fächer in der Lage sind, Interesse zu wecken und kreative Prozesse zu fördern. Ein Musikstück, ein Gemälde oder eine Skulptur wirken auf jede*n Hörer*in oder Betrachter*in anders. Jede*r hat Assoziationen und Empfindungen und interpretiert ein Kunstwerk gemäß der eigenen Erfahrungen und Vorkenntnisse.
Im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Fächern gibt es keine idealtypische Lösung. Das können Lehrende für den sprachlichen Unterricht nutzen. Sie geben ihren Schüler*innen zum Beispiel Redemittel an die Hand, mit denen sie ein Bild oder Musikstück beschreiben können. Was die Lernenden dann aus dem Kunstwerk herauslesen, wie sie es deuten, ist ihnen überlassen und so sehr individuell. Es gibt dabei kein Richtig und Falsch.

Nach welchen Kriterien sollten Lehrende denn die Musikstücke und Kunstwerke auswählen?

Rainer E. Wicke: Sie sollten einen Bezug zur Lebenswelt der Schüler*innen haben, die Thematik sollte ihnen also nicht allzu fremd sein. Häufig passen auch Kunstwerke und Musikstücke zu Lehrbuchthemen. Gemälde und Skulpturen, die Tiere darstellen, eignen sich zum Beispiel. Wie das Gemälde Der Tiger von Franz Marc (Unterrichtsmaterialien unter diesem Link der Deutschen Welle).
Oder sogenannte Programm-Musik. Darunter versteht man Musik, die Bilder hervorrufen kann oder Geschichten erzählt. Die Moldau des Komponisten Smetana etwa (Unterrichtsmaterialien unter diesem Link der Deutschen Welle).
Es müssen nicht unbedingt Kunstwerke aus dem deutschen Sprachraum sein, denn in den Zeiten der Globalisierung werden Kunstwerke aus aller Welt in den Mittelpunkt gestellt. Die Hauptsache ist, dass die Lernenden eine Bedeutung für sich erschließen können. Wir dürfen den Schüler*innen ruhig etwas zutrauen und sie ohne Angst an die Thematik heranführen. Was sie dabei lernen, können sie dann später auch auf andere Fachdiskurse übertragen.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben, wie so eine Projektarbeit im FüDaF aussehen kann?

Rainer E. Wicke: Mit Jugendlichen im Alter von 13 bis 14 Jahren haben ich das Thema „Schule einst und jetzt“ bearbeitet. Dafür haben wir uns gemeinsam mit dem Gemälde Nach der Schule von Ferdinand Georg Waldmüller aus dem 19. Jahrhundert auseinandergesetzt.
Das Bild zeigt eine Gruppe von Jungen und Mädchen, die aus einem Gebäude strömen (Bild unter diesem Link auf S. 33 von So gelingt´s). Auf dem Bild gibt es unglaublich viele Details zu entdecken. Ein Mädchen tröstet einen weinenden Jungen, eine Gruppe von Mädchen unterhält sich, ein Junge wirft seinen Hut in die Luft. Als erstes haben wir das Bild in einzelne Ausschnitte geteilt mit der Aufgabe, die Szenen zu beschreiben. Redemittel gab es dazu als Hilfestellung.
Es war wirklich faszinierend zu erleben, wie sich die Schüler*innen in der Projektarbeit in die Köpfe der dargestellten Kinder hineinversetzt haben. Sie haben sich zum Beispiel ausgedacht, worüber sich die Mädchen unterhalten könnten und warum der Junge, der den Hut wirft, sich freuen könnte.