Kinder lernen eine Zweitsprache viel leichter als Erwachsene – das nahm man lange Zeit an. Mittlerweile zeigen Studien ein differenzierteres Bild. Für die Aussprache gilt allerdings: je jünger man sie lernt, desto besser. Kinder lernen aber auf jeden Fall anders: intuitiv, situationsbezogen und pragmatisch. Das erklärt, warum junge Zuwanderer meist viel schneller einen Zugang zur deutschen Sprache haben als ihre Eltern. Für viele Eltern ist das erfreulich und irritierend gleichermaßen, denn sie fragen sich: Verdrängt Deutsch die Muttersprache unseres Kindes?

„Ich spreche zu Hause immer Albanisch mit meinem Sohn. Er versteht mich, aber er antwortet mir auf Deutsch,“ erzählt eine junge Frau aus Albanien in einem Deutschkurs für Erwachsene. Eine weitere Mutter nickt verständnisvoll. Sie kennt das Phänomen von ihren Kindern. Nach und nach melden sich weitere Eltern zu Wort. Alle wünschen sich, dass ihre Kinder in Kindergarten und Schule gut Fuß fassen und sich mühelos auf Deutsch verständigen können. Aber sie haben auch Angst, dass es ihnen nicht gelingt, ihren Kindern auf Dauer ihre eigene Muttersprache zu vermitteln.

Kann man seine Muttersprache verlernen?

Diese Sorge ist nicht ganz unbegründet. Tatsächlich kann man seine L1 verlernen. Das setzt aber voraus, dass man über längere Zeit überhaupt nicht mehr mit dieser Sprache in Kontakt kommt. Das bedeutet, dass man sie weder regelmäßig hört noch spricht.

Genauso intuitiv und situationsbezogen, wie Kinder eine Sprache lernen, wenden sie diese auch an. Der Kontext entscheidet also darüber, welche Sprache Kinder gerade für relevant halten. Wenn das Kind in Kindergarten, Schule, bei Freunden oder allgemein im Alltag hauptsächlich Deutsch hört und lernt, so ist diese Sprache zunächst einmal dominant. In anderen Situationen wiederum ist es naheliegender, auf die L1 zurückzugreifen. Im Falle des kleinen Jungen aus Albanien würde sich das Sprachverhalten vermutlich schon innerhalb eines mehrwöchigen Sommerurlaubs in Albanien ändern.

Natürlich ist es nicht allen Zuwanderern – geschweige denn Geflüchteten – möglich, regelmäßigen Kontakt zu ihrem Herkunftsland zu halten. Um die mündliche Sprachkompetenz des Kindes in der L1 zu fördern, reicht es aber schon, wenn eine Bezugsperson regelmäßig mit ihm in dieser Sprache spricht – mit Geduld, Konsequenz und ohne Druck.