Gemeinsam gelingt’s: Unterricht in Integrationskursen für gering Literalisierte
Seit Frühjahr 2025 gibt es das neue Integrationskurskonzept des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für gering Literalisierte. Kurz GLK oder GeLi-Kurse genannt. Hueber-Referentin und DaF-Fortbildnerin Leila Finger qualifiziert beim Bayerischen Volkshochschulverband im Rahmen des ZQ DaZ -Programms Lehrkräfte für diese neuen GeLi-Kurse.
Sie legt besonderen Wert auf einen GeLi-Unterricht auf Augenhöhe und sagt: „In den Kursen begegnen uns Menschen, die mit erstaunlicher Kreativität, Ausdauer und Lebenserfahrung lernen – auch dann, wenn das Lesen und Schreiben eine besondere Herausforderung sind. Sie zeigen trotz großer Hürden mit Mut, Humor und ungewöhnlichen Lernwegen, was Lernen in seinem besten Sinn bedeutet. Viele von ihnen gelten als gering Literalisierte (GeLi). Doch dieser Begriff sagt wenig über ihre tatsächlichen Fähigkeiten, ihre Lernstrategien und ihr Potenzial aus.“
Was versteht man unter gering Literalisierten?
Als gering literalisierte Erwachsene bezeichnet man Menschen, die sich des Lesens und Schreibens auf unterschiedlichen Wegen annähern und ihre schriftsprachlichen Kompetenzen noch weiterentwickeln. Diese Gruppe ist sehr vielfältig: Sie umfasst Personen, die bislang keine systematische Alphabetisierung erfahren konnten, ebenso wie solche, die eine andere Schrift gelernt haben oder Schriftkenntnisse im Laufe ihres Lebens teilweise wieder verloren haben.
Im Mittelpunkt steht dabei nicht das, was fehlt, sondern das, was möglich ist – die individuelle Förderung beim Aufbau funktionaler Literalität, also der Fähigkeit, Schriftsprache gezielt zur Orientierung, Kommunikation und aktiven Teilhabe zu nutzen. Das, was ihnen an Schriftpraxis fehlt, gleichen sie durch andere Kompetenzen aus: durch ausgeprägtes visuelles Denken, pragmatische Problemlösungsstrategien, Kommunikationsgeschick und soziale Intelligenz.
Diese Ressourcen sind die Basis eines gelingenden Unterrichts, findet Leila Finger – wenn wir Lehrkräfte sie sehen, ernst nehmen und aktiv einbeziehen.
Warum ein neuer BAMF-Kurs für gering Literalisierte sinnvoll ist
Der neue BAMF-Kurs für gering Literalisierte ist ein wichtiger Schritt, weil er den Blick weg vom Defizit hin zu individueller Förderung lenkt. Ein klassischer Ansatz – „mehr Zeit für weniger Stoff“ – greift hier zu kurz. Gering Literalisierte brauchen mehr als verlängerte Unterrichtszeit: Sie brauchen Lernräume, die an ihre Lebensrealität anknüpfen, Selbstwirksamkeit fördern und digitale wie organisatorische Kompetenzen mitdenken.
Denn Literalität bedeutet heute nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch den Umgang mit digitalen Medien, Orientierung im Alltag und Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen. Darüber hinaus geht es darum, dass Lernende eigene Wege und Strategien entwickeln, um Sprache und Schrift in ihren Alltag zu integrieren.
Diese Lernprozesse verlaufen oft anders, als wir es aus klassischen Lehrmethoden kennen – manchmal ungleichmäßig, unkonventionell oder scheinbar asymmetrisch. Gerade darin liegt jedoch ihr Potenzial. Entscheidend ist, dass wir Lehrkräfte diese individuellen Zugänge nicht als Abweichung, sondern als Ausdruck von Eigenaktivität und Lernkompetenz verstehen. Die Anerkennung solcher unterschiedlichen Lernwege eröffnet Raum für echte Vielfalt im Unterricht – und für eine Haltung, die Lernen als gemeinsamen, offenen Prozess begreift.
Wie gelingender Unterricht in GeLi-Kursen aussieht
Erfolgreicher Unterricht für gering Literalisierte entsteht, wenn wir ihn aus der Perspektive der Lernenden denken. Das bedeutet für Leila Finger:
- Inhalte müssen handlungsorientiert, lebensrelevant und sozialkompetenzfördernd sein. So lernen Teilnehmende Sprache in echten, sozialen Zusammenhängen – und entwickeln dabei nicht nur sprachliche, sondern auch zwischenmenschliche Handlungskompetenzen.
- Lernen sollte ressourcenorientiert erfolgen: Viele Lernende bringen Kompetenzen mit, die in herkömmlichen Einstufungstests gar nicht sichtbar werden.
- Partizipation ist entscheidend: Wer die Lernenden an Entscheidungen beteiligt, erlebt Unterricht, der wirklich erwachsenengerecht ist.
- Lösungsorientierung statt Defizitblick: Wir fragen nicht, was fehlt – sondern was schon da ist und wie wir es nutzbar machen können.
- Ein bewusstes und ausgewogenes Maß an Translanguaging und Plurilingualität ist von großer Bedeutung.
Es braucht dabei ein sensibles Gleichgewicht zwischen Struktur und Offenheit – denn genau hier können die vielfältigen sprachlichen Ressourcen der Lernenden sichtbar werden und ihr Lernen nachhaltig bereichern. Unter dem sogenannten Vor-A1-Niveau und den Niveaustufen A1 und A2 verbirgt sich – wie bei einem Eisberg – die größte Masse an Wissen, Erfahrung und Kompetenzen. Sie speisen sich aus Lebenswegen, die von Eigenständigkeit, Verantwortung und Handlungsfähigkeit geprägt sind. Diese Ressourcen gilt es im Unterricht zu erkennen, wertzuschätzen und bewusst einzubeziehen – denn sie sind die eigentliche Grundlage für nachhaltiges Lernen und gelingende Integration.
Leila Finger ist überzeugt: Wenn Lehrkräfte sich darauf einlassen, lernen auch sie neu. Sie entdecken alternative Lernwege, hinterfragen Routinen und reflektieren Prioritäten. Der Unterricht mit gering Literalisierten ist kein „Sonderfall“, sondern eine Bereicherung – für alle Beteiligten.
Mehr Tipps und Materialempfehlungen gibt es in der Webinarreihe mit Leila Finger und Irene Martius. Praxisnahe Einblicke in methodische Ansätze, konkrete Unterrichtsbeispiele und bewährte Strategien zur Förderung von Literalität und Sprachhandlungsfähigkeit erwarten Sie. Wichtige Infos zu den GeLi-Kursen finden Sie auch auf der Hueber-Website.

Webinarreihe GeLi-Kurse:
5 Hueber-Webinare am 7.11.2025 / 13.11.2025 / 18.11.2925 / 20.11.2025 und 24.11.2025
mit Leila Finger und Irene Martius
Noch sind Plätze frei … melden Sie sich am besten gleich kostenlos an!
Lehrwerke für GeLi-Kurse:
Basiskurs Abschnitt 1 & 2:
Erste Schritte PLUS Neu Einstiegskurs

Basiskurs Abschnitt 3:
Schritt für Schritt in Alltag und Beruf
oder Miteinander!
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Unsere Autorin
Ariane Suckfüll arbeitet als DaF/DaZ-Dozentin, Journalistin und Prüferin. Als Lehrerin hat sie schon auf allen Niveaustufen unterrichtet. In letzter Zeit war sie vor allem in der Flüchtlingshilfe aktiv. Als Journalistin war sie viele Jahre für verschiedene, auch internationale Fachzeitschriften tätig und oft im Ausland unterwegs. Für den Blog Unterrichtspraxis DaF/DaZ verbindet sie Erfahrungen aus beiden Bereichen.

